Mental-Coach Ray Popoola im NZZ Interview zur Aufgabe von Marlene Reusser bei der Rad-WM 2023

Marlen Reusser gibt bei der Radsport-Weltmeisterschaft 2023 im Zeitfahren unerwartet auf. Dabei galt sie klar als Favoritin, die auf ein Sport- und Wettkampfprofil zurückblicken kann, welches sich wie eine Anreihung von Höhenflügen liest.

Erinnern wir uns: Marlen Reusser ist Weltmeisterin der Mixed-Relay des Jahres 2022 und 2023. Zuvor ist sie Europameisterin im Zeitfahren 2021 und 2022 geworden. Kürzlich ging sie als Siegerin der Tour de Suisse und Baskenland Rundfahrt 2023 hervor und setzte sich im belgischen Strassenradrennen Gent-Wevelgem 2023 gegen ihre Kontrahentinnen durch. Und nicht zu vergessen ist der Moment, im welchem sie die Olympia-Silbermedaille im Olympia-Zeitfahren in Tokio 2020 errang. Ihre Aufgabe bei der Rad-WM 2023 warf somit Fragen auf.

Die gebürtige Bernerin stellt kurz nach ihrer Aufgabe klar, dass es kein mechanisches Problem gab und räumt demgegenüber ein, dass sie aufgeben wollte. Sie konkretisiert den Moment ihrer Entscheidung in einem SRF-Interview vom August 2023 mit folgenden Worten:

Im Rennen habe ich gemerkt, ich bin nicht ready für das Zeitfahren, ich will das gar nicht. Ich bin im Moment nicht hungrig darauf.

Im Folge von Marlen Reussers Aufgabe wanderte schliesslich der Blick weiter in Richtung ihres Mental-Coach Ray Popoola, mit welchem sie zwischen 2019 und 2022 eng zusammenarbeitete. Im Interview der NZZ am Sonntag bezieht nun auch Ray Popoola Stellung. Er gibt darin Aufschluss über den Ausstieg Reussers aus dem Zeitfahren und komplettiert aus seiner Sicht das Gesamtbild der Athletin. Von zentralem Wert ist dabei Popoolas Aussage, dass es im Zustand der Überforderung Grenzen braucht:

Es wäre möglich, Sportler zu motivieren, Grenzen zu überschreiten. Man kann sie bis zu einem Ermüdungsbruch treiben. Ich lehne das aus ethischen Gründen rigoros ab.

Somit kam für ihn die Aufgabe Reussers auch „nicht völlig überraschend“. Denn die Intensität an Reussers Höchstleistungen und Teilnahmen an bedeutenden Radsport-Wettkämpfen erstreckte sich schon zuvor für die Athletin über mehrere Jahre – ohne, dass sie die Möglichkeit hatte, auch mal zu pausieren.

Wohl wissend um die Qualität und Grenzüberschreitungen, die ein Mentaltraining einem Athleten ermöglicht, resümiert Popoola in anerkennender Haltung, dass es weiterhin „zentral ist, dass die Athleten sich selbst richtig einschätzen. (…) Sie sind ihre besten Partner.“

Damit formuliert Popoola den Grundstein für eine langfristig erfolgreiche Sportler-Karriere, die den Athleten ins Zentrum stellt und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ihr Engagement langfristig in eine gewollte und gelingende Höchstleistung einfliesst. Er findet hierzu die folgenden treffenden Worte:

Ich bewundere es, wenn Sportler trotz dem Druck von aussen ihr Limit anerkennen, statt weiterzumachen, bis es nicht mehr gut kommen würde.

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Das Interview vom 19.08.2023, welches Sebastian Bräuer mit Ray Popoola führte, ist beim NZZ magazin nachzulesen und steht unter der Überschrift «Man kann Sportler bis zu einem Ermüdungsbruch treiben».