Sportpsychologie unter Beschuss: Die Kritik im Tages-Anzeiger greift zu kurz

Sportpsychologie

Die Sportpsychologie steht durch einen kürzlich veröffentlichten Artikel im Tages-Anzeiger in der Kritik – aber ein genauerer Blick zeigt, dass viele dieser Angriffe auf einem Missverständnis beruhen. In unserem Blogpost schauen wir uns ihre wissenschaftlichen Grundlagen an und zeigen dir, warum sportpsychologische Techniken weit mehr sind als nur «Psycho-Kniffe». Tauch mit uns in eine Diskussion ein, die über die übliche Skepsis hinausgeht und entdecke neue Perspektiven auf das Potenzial der Psyche im Leistungssport.

Die kürzlich veröffentlichte Meta-Analyse «Effects of Psychological Interventions to Enhance Athletic Performance: A Systematic Review and Meta-Analysis» einer schwedischen Forschungsgruppe hat eine Diskussion über die Wirksamkeit sportpsychologischer Interventionen entfacht. Gestern startete der Tages-Anzeiger eine Diskussion mit ihrem Artikel «Hirnarbeit führt zu mehr Leistung, glauben viele Sportler – stimmt das?».

Die komplexe Rolle der Psyche im Sport

Die zentrale Frage berührt die Rolle der Psyche im Sport und ob mentale Hilfestellungen tatsächlich zu einer verbesserten Leistung führen. Zunächst aber ein genauerer Blick auf die Komplexität und den Zweck der Sportpsychologie.

Die Kritik des Artikels geht mit einem Missverständnis über die Leitidee der Sportpsychologie einher. Sie ist nämlich keine lineare Wissenschaft, welche ausschliesslich auf objektiv messbare Leistungssteigerung abzielt. Sie ist eine vielschichtige Disziplin, die das menschliche Verhalten und Erleben im Kontext des Sports erforscht, um sie in erster Linie besser zu verstehen. Das Fundament hierfür liegt somit in der Beschreibung des Beobachtbaren.

Anschliessend versucht man die Beobachtungen mit weiteren Disziplinen der Psychologie zu erklären. Dazu gehören die Kognitions-, Motivations-, Emotions-, Persönlichkeits-, Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Erst dann wird es möglich, vorhersagende Hypothesen aufzustellen und zu testen, ob sich ein Verhalten durch gezielte Interventionen verändern oder verbessern lässt.

Die Effektivität mentaler Techniken

Nach dieser grundlegenden Forschungslogik untersuchte die Forschungsgruppe um Judy van Raalte im Jahr 1994 anhand einer Feldstudie die Mentaltechnik der Selbstgespräche. Diese wurde im Artikel des Tages-Anzeigers zur Zielscheibe und als wirkungsloser «Psycho-Kniff» der Sportpsychologie betitelt.

Van Raalte et al. fanden anhand systematischer Beobachtungen und subjektiven Befragungen bei Tennisspielern heraus, dass negative Selbstgespräche im Wettkampf mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Niederlage zur Folge hatte. Ausserdem, dass positive Selbstgespräche zu deutlich mehr gewonnenen Ballwechseln führte.

Die wahre Effektivität sportpsychologischer Techniken

Im ersten Abschnitt betont der Artikel des Tages-Anzeigers die Schwäche der Evidenz für die Wirksamkeit psychologischer Interventionen im Leistungssport. Dabei werden allerdings wichtige Aspekte ausser Acht gelassen:

  1. Als Erstes die Tatsache, dass die «Sportpsychologie» als wissenschaftliche Disziplin viel mehr umfasst als nur die Steigerung sportlicher Leistungen. Dass die Korrelation zwischen psychologischen Massnahmen und objektiven Leistungssteigerungen nach den Goldstandards der Wissenschaft schwer zu messen ist, ist allseits bekannt. Das Problem liegt aber nicht in der Unwirksamkeit der Interventionen. Sondern vielmehr in der Herausforderung, die Vielschichtigkeit des sportlichen Wettkampfs im Labor nachzustellen.
  2. Des Weiteren wird die vergleichsweise dünne Studienlage zu den Wirkmechanismen sportpsychologischer Techniken im Artikel hervorgehoben, um ihre Effektivität und Relevanz infrage zu stellen. Dabei ist dies in Anbetracht des vergleichsweise jungen Alters der Disziplin wenig verwunderlich. Dabei haben Stressbewältigung, Selbstgespräche, Visualisierungstechniken einen deutlich positiven Einfluss auf die mentale Stärke eines Athleten. Indem sie sich dadurch selbstbewusster erleben und mit weniger Wettkampfangst agieren, können sie verbesserte Leistungen abrufen.

Wie alle wissenschaftlichen Disziplinen hat auch die Sportpsychologie ihre Herausforderungen in der Forschung. Doch folgt man der üblichen wissenschaftlichen Logik, nach der jede theoretische Gesetzmässigkeit zunächst widerlegt werden muss, so bringt eben dieser Prozess schliesslich die entscheidenden Erkenntnisse.

Die Resultate der Meta-Analyse sind dennoch eine wichtige Bestandsaufnahme der aktuellen sportpsychologischen Forschungslandschaft. Sie sollten sie aber nicht infrage stellen, sondern als Ansporn dienen, die Qualität und Methodik zukünftiger Forschungsarbeiten zu verbessern und die Disziplin voranzutreiben.

Wegweisende Forschungsdurchbrüche sollten durch derartige Übersichtsarbeiten nicht gänzlich relativiert werden. Wallace et al. (2017) stellten z. B. im experimentellen Setting eine objektiv messbare Leistungssteigerung bei Fahrradfahrern durch motivationale Selbstgespräche fest. Ein wichtiger Meilenstein in der sportpsychologischen Forschung.

Schlussfolgerung

Zu guter Letzt: wenn ein Athlet subjektiv das Gefühl hat, dass eine sportpsychologische Intervention ihm geholfen hat, dann sollten wir dies als Erfolg betrachten. Letztlich liegt der Wert mentaler Techniken nicht in den «harten Fakten», wie die Autoren der Analyse behaupten, sondern in der Verbesserung der mentalen Gesundheit und des Wohlbefindens von Athleten.

Referenzen

  • Brüngger, C. (26.03.2024). Hirnarbeit führt zu mehr Leistung, glauben viele Sportler – stimmt das?. Tages-Anzeiger. Zugriff am 27.03.2024. https://www.tagesanzeiger.ch/mentaltraining-im-sport-warum-zweifel-bestehen-913263836098
  • Reinebo, G., Alfonsson, S., Jansson-Fröjmark, M., Rozental, A., & Lundgren, T. (2024). Effects of Psychological Interventions to Enhance Athletic Performance: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Medicine, 54, 347–373. https://doi.org/10.1007/s40279-023-01931-z
  • van Raalte, J. L., Brewer, B. W., Rivera, P. M., & Petitpas, A. J. (1994). The relationship between observable self-talk and competitive junior tennis players’ match performances. Journal of Sport and Exercise Psychology, 16(4), 400–415. https://doi.org/10.1123/jsep.16.4.400
  • Wallace, P. J., McKinlay, B. J., Coletta, N. A., Vlaar, J. I., Taber, M. J., Wilson, P. M., & Cheung, S. S. (2017). Effects of Motivational Self-Talk on Endurance and Cognitive Performance in the Heat. Medicine & Science in Sports & Exercise, 49(1), 191-199. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000001087