In der Welt des Sports ist Stress ein ständiger Begleiter. Ob beim Training, vor einem entscheidenden Wettkampf oder in der Hitze des Moments – als Athletin oder Athlet bist du regelmässig mit stressigen Situationen konfrontiert. Doch statt Stress als unüberwindbares Hindernis zu sehen, kannst Du ihn als Katalysator für Wachstum und Verbesserung nutzen. In unserem «Stress Playbook» beleuchten wir, wie die strategische Anwendung von Techniken Dir helfen wird, den Druck zu managen und Deine Leistung zu steigern.
In diesem Artikel tauchen wir tief in die vier Dimensionen der Stressbewältigung von Reuter und Schwarzer (2009) ein. Jedes dieser Strategien bietet Dir einzigartige Ansätze, um mit den vielfältigen Herausforderungen des sportlichen Alltags umzugehen. Durch praktische Übungen und bewährte Methoden zeigen wir Dir, wie Du ein «Stress-ist-fördernd»-Mindset entwickeln kannst. Das wird es Dir ermöglichen, stressige Situationen nicht nur zu bewältigen, sondern auch als Gelegenheit zur persönlichen Entwicklung zu nutzen. Hierzu zunächst die vier Dimensionen im Überblick:
Reaktives Coping
Reaktives Coping ist eine Strategie, um mit einer laufenden oder bereits eingetretenen stressigen Situation umzugehen. Das Ziel ist, mit dabei erfahrenen Schäden oder Verlusten umzugehen oder sie zu akzeptieren. Beispiele sind eine sportliche Niederlage, das Kassieren eines Gegentors, die aus der Startaufstellung ausgeschlossen werden oder eine körperliche Verletzung.
Wurden diese oder ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit erlebt, müssen wir mit dem dadurch empfundenen Stress umgehen. Um dies erfolgreich zu tun, bietet das Reaktive Coping drei Ansatzpunkte an: problemorientiert, emotionsorientiert oder beziehungsorientiert.
- Problemorientiert: Hier liegt der Fokus darauf, die Ursachen des Stresses direkt anzugehen. Wir ergreifen also konkrete Massnahmen, um das Problem zu lösen und zu bewältigen. Stellen wir etwa fest, dass eine Niederlage an Schwierigkeiten mit einer bestimmten Technik lag, dann arbeiten wir an dieser Technik und vermeiden somit zukünftig diesen spezifischen Stressor.
- Emotionsorientiert: In diesem Ansatz liegt der Schwerpunkt auf der Bewältigung der emotionalen Reaktionen auf einen Stressor. Wir konzentrieren uns dabei darauf, unsere Emotionen a) zu verstehen, b) sie zu regulieren und sie c) zu verarbeiten. Dies erreichen wir zum Beispiel durch mentales Training und Entspannungsübungen, um unsere Nervosität zu reduzieren.
- Beziehungsorientiert: Hier stehen die soziale Unterstützung und der Austausch mit anderen Menschen im Mittelpunkt. Wir suchen nach Unterstützung von Freunden, Familie, Teamkollegen oder Trainern, um gemeinsam mit dem Stress umzugehen. Das hilft uns dabei, den Stress zu teilen und ihn besser zu bewältigen.
Übung 1: Entspannungsatmung
Atemübungen können leicht erlernt und angewandt werden. Vermutlich hat jeder Athlet vor oder während eines Wettkampfes schon einmal tief ein- und ausgeatmet, um «seine Nerven zu beruhigen». Es werden aber dann die besten Ergebnisse erzielt, wenn das Verfahren im Vorhinein gezielt geübt wurde.
Eine Studie von Van Diest et al. (2014) fand heraus, dass langsame Atemzüge (6 pro Minute) im Vergleich zu einer schnellen Atmung (12 Atemzüge pro Minute) zu weniger Stress, mehr Entspannung, Achtsamkeit und positiver Energie führen.
Eine Faustregel, die Du Dir für eine erfolgreiche Entspannungsatmung merken kannst, ist, dass Deine Ausatmung etwa doppelt so lang dauern sollte wie Deine Einatmung. Achte darauf, dass Du «tief» atmest, indem Du Dein Zwerchfell bewusst nach unten ausdehnst und Deine Lungen komplett mit Luft füllst. Dies senkt nicht nur Deinen Puls, sondern erhöht gleichzeitig auch den Sauerstoffanteil in Deinem Blut.
Anleitung
- Richte Deine Aufmerksamkeit auf die Bauchatmung. Deine Konzentration liegt nur auf dem Ausatmen, das langsam durch den Mund erfolgt. Das Einatmen durch die Nase lässt Du ganz von allein geschehen.
- Bei jedem Atemzug gestaltest Du Deine Ausatmungsphase doppelt so lange wie Deine Einatmungsphase, bis Du die Luft vollständig ausgeatmet hast. Du solltest spüren, wie die Spannung in Deinem Körper mit jedem Ausatmen nachlässt und Du ruhiger wirst.
- Wiederhole diesen Ablauf 3- bis 5-mal (Birrer et al., 2010).
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Antizipatorisches Coping
Präventives Coping
Präventives Coping ist der Aufbau von Ressourcen, die unsere Widerstandsfähigkeit (Resilienz) vor zukünftigen Belastungen verbessern. Beim Präventiven Coping geht es dabei um das «Management» von verschiedenen Herausforderungen in der Zukunft, deren Aussicht alleine schon Ängste in uns erzeugen. Mögliche Stressoren gleichen denen des reaktiven Copings. Allerdings ist es lediglich der Gedanke an die Herausforderung, der uns stresst. Es könnte unter anderem die Angst vor Verletzungen, vor dem Scheitern in einem Wettkampf oder dem altersbedingten Leistungseinbruch sein.
Übung 3: Athletenzentriertes Coaching
Eine Ressource, die im Sport von grosser Bedeutung ist, ist die Selbstwirksamkeit (Feltz et al., 2008). Selbstwirksamkeit beschreibt die Überzeugung einer Person, ein bestimmtes Verhalten mithilfe eigener Kompetenzen ausführen zu können. Insbesondere in der Auseinandersetzung mit unvorhersehbaren, schwierigen oder stressreichen Situationen und Aufgaben. Eine Methode, mit der die Selbstwirksamkeit von Sportlern gesteigert und die Trainer-Athleten-Beziehung vertieft wird, ist das athletenzentierte Coaching der Psychologen Høigaard und Johansen (2004).
Der Fokus des athletenzentrierten Coaching-Ansatzes liegt auf der Ermächtigung des Athleten zum eigenständigen Auffinden von Problemlösungen. Dabei führst Du als Trainer das Gespräch durch folgende 5 Phasen:
- Vereinbarung: Frage den Athleten, was passieren muss, damit sich das Gespräch im Anschluss als nützlich erweist. Der Fokus liegt dabei auf möglichen Verbesserungen.
- Wünschenswerte Zukunft: Bitte den Athleten, sich eine für ihn erstrebenswerte Zukunft vorzustellen.
- Entwicklungsschlüssel: Stelle Fragen nach Ausnahmen, in denen das Problem nicht oder weniger ausgeprägt auftrat. Diese sollen dem Athleten helfen, seine eigenen Stärken sowie Anzeichen für eine positive Entwicklung zu erkennen.
- Entwicklungsstrategien: Stelle Fragen nach Absichten, Zielen und Gefühlen in Verbindung mit dem angestrebten Verhalten.
- Schlussfolgerungen und Rückmeldungen: Gib dem Athleten auf Basis deiner Beobachtungen Rückmeldung zu den Stärken des Athleten in Bezug auf seine Problemlösekompetenz.
Um ein möglichst produktives und förderliches Gespräch zu führen, richte dich nach den folgenden 6 Fragetypen:
- Wunderfrage: Sie dient der Zielvereinbarung, indem möglichst detaillierte Faktoren oder Zustände ermittelt werden, die erstrebenswert erscheinen („Wenn heute Nacht ein Wunder geschähe – und du es im Schlaf nicht mitbekommen würdest –, woran würdest du morgen das Wunder erkennen?“).
- Ausnahmefrage: Sie dient dazu, bereits existierende, hilfreiche Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu entdecken („Was war in den Situationen anders, in denen das Problem nicht oder nicht so stark auftrat?“).
- Skalierungsfrage: Sie hilft, positive Veränderungen zu überwachen, Ziele zu setzen und Stärken zu identifizieren („Wie würdest du das Problem auf einer Skala von 0 (gelöst) bis 10 (hochdramatisch) einstufen?“).
- Verarbeitungsfrage: Sie hilft, aktuelle positive Aspekte und Stärken zu erkennen („Was hast du bereits versucht, um das Problem zu lösen?“, „Was hat davon – vielleicht auch nur teilweise – funktioniert?“).
- Beziehungsfrage: Sie bietet die Möglichkeit eines Perspektivenwechsels an („Wie würdest du auf deine Umgebung wirken, wenn das Problem gelöst wäre?“, „Was wäre an deinem Auftreten oder Verhalten gegenüber deinen Trainern, Teamkollegen, Gegnern etc. anders?“).
- Was-noch-Frage: Sie hilft auf der Suche nach internen Informationen und Möglichkeiten zur Problemlösung. Sie sollte immer wieder mehrfach nach Antworten gestellt werden – auch bei den Fragen 1-5 („Was noch?“).
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- Baumann, S. (2011). Psyche in Form: Sportpsychologie auf einen Blick. Meyer & Meyer.
- Birrer, D., Morgan, G., & Ruchti, E. (2010). Psyche – Theoretische Grundlagen und praktische Beispiele. Magglingen: BASPO.
- Crum, A. J., Akinola, M., Martin, A., & Fath, S. (2017). The role of stress mindset in shaping cognitive, emotional, and physiological responses to challenging and threatening stress. Anxiety, Stress, & Coping, 30(4), 379-395. https://doi.org/10.1080/10615806.2016.1275585
- Feltz, D., Short, S., & Sullivan, P. (2008). Self-efficacy in Sport. Human Kinetics.
- Haase, S. (2020). Stress Dich nicht: Das 6-Wochen-Programm: Denkweise verändern und Stress in positive Energie umwandeln. TRIAS.
- Hänsel, F., Baumgärtner, S. D., Kornmann, J., & Ennigkeit, F. (2016). Sportpsychologie (F. Hänsel, Ed.). Springer Berlin Heidelberg.
- Høigaard, R., & Johansen, B. T. (2004). The Solution-Focused Approach in Sport Psychology. The Sport Psychologist, 18(2), 218-228. https://doi.org/10.1123/tsp.18.2.218
- Keech, J. J., Hagger, M. S., & Hamilton, K. (2019). Changing stress mindsets with a novel imagery intervention: A randomized controlled trial. Emotion, 21(1), 123-136. https://doi.org/10.1037/emo0000678
- Reuter, T., & Schwarzer, R. (2009). Manage Stress at Work through Preventive and Proactive Coping. In E. Locke (Ed.), Handbook of Principles of Organizational Behavior: Indispensable Knowledge for Evidence-Based Management (pp. 499-515). Wiley.
- Van Diest, I., Verstappen, K., Aubert, A. E., Widjaja, D., Vansteenwegen, D., & Vlemincx, E. (2014). Inhalation/Exhalation Ratio Modulates the Effect of Slow Breathing on Heart Rate Variability and Relaxation. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 39, 171-180. https://doi.org/10.1007/s10484-014-9253-x